Sehr geehrte Leserin,
sehr geehrter Leser,
nachfolgend erhalten Sie die im September 2025 veröffentlichten Gerichtsentscheidungen. Für Rückfragen stehe ich jederzeit gerne zur Verfügung.
Gliederung
§ 1 Arbeitsrecht
1. Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstwagens – Nutzungsausfallentschädigung,
BAG, Urt. v. 12.02.2025 – 5 AZR 171/24
2. Kein Verzicht von Urlaub durch Prozessvergleich,
BAG, Urt. v. 03.06.2025 – 9 AZR 104/24
3. Kein Sonderkündigungsschutz für Mitarbeiter, der in Probezeit Betriebsrat gründen möchte,
LAG München, Urt. v. 20.08.2025 – 10 SLa 2/25
4. Ehrschutzklage einer Teamleiterin wegen getätigter Äußerungen durch einen Arbeitskollegen,
LAG Niedersachsen, Urt. v. 07.04.2025 – 1 5 SLa 855/24
5. Streikteilnahme kann Höhe des Weihnachtsgeldes mindern,
ArbG Offenbach a. M., Urt. v. 28.08.2025 – 10 Ca 57/25
6. Schadensersatz wegen verspäteter Zielvorgabe,
BAG, Urt. v. 19.02.2025 – 10 AZR 57/24
§ 2 Verkehrsrecht
1. Zur Haftung eines Pedelec-Fahrers auf einem Radweg,
OLG Hamm, Beschl. v. 30.12.2024 – I – 7 U 5/24
2. Zur Haftung des Betreibers einer Waschstraße für die Beschädigung eines Fahrzeugs,
BGH, Urt. v. 22.05.2025 – VII ZR 157/24
§ 3 Notariat
1. Mietervorkaufsrecht analog § 577 Abs. 1 S. 1 BGB bei Begründung von Teileigentum,
BGH, Urt. v. 21.05.2025 – VIII ZR 201/23
2. Keine Vereitelung eines siedlungsrechtlichen Vorkaufsrechts durch Vertragsaufhebung nach Zugang der Mitteilung über die Ausübung,
BGH, Urt. v. 11.04.2025 – V ZR 194/23
§ 1 Arbeitsrecht
1. Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstwagens – Nutzungsausfallentschädigung,
BAG, Urt. v. 12.02.2025 – 5 AZR 171/24
Eine Allgemeine Geschäftsbedingung, nach der ein Arbeitnehmer ein auch privat nutzbares Dienstfahrzeug im Fall der berechtigten Freistellung während der Kündigungsfrist entschädigungslos an den Arbeitgeber zurückgeben muss, ist wirksam. Die Regelung genügt den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4 BGB. Nach dem dort vorgesehenen Transparenzgebot muss eine solche Klausel klar und verständlich gefasst sein und zumindest die Richtung angeben, aus der der Widerruf möglich sein soll. Hinsichtlich der möglichen Leistungsänderung muss für den Arbeitnehmer ein gewisses Mindestmaß an Kalkulierbarkeit bestehen. Auch materiell ist die Widerrufsklausel wirksam, weil sie unter Berücksichtigung der Freistellung die dienstliche und private Nutzung in sachgerechter Weise verknüpft.
Ein in einer Allgemeinen Geschäftsbedingung enthaltener Widerrufsvorbehalt unterliegt neben einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB auch der auf den konkreten Einzelfall bezogenen Ausübungskontrolle nach § 315 Abs. 1 BGB. In die gebotene Interessenabwägung sind das Interesse des Arbeitnehmers an einer unverzüglichen Rückgabe und das Interesse des Arbeitnehmers an einer weiteren privaten Nutzung einzustellen. Da die private Nutzung eines Dienstwagens bei gewählter Pauschalversteuerung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG auch dann mit der vollen Monatspauschale zu versteuern ist, wenn der Arbeitnehmer das Fahrzeug nicht im gesamten Kalendermonat nutzen kann, wird im Regelfall nur ein Widerruf zum Monatsende billigem Ermessen entsprechen.
Entspricht der Widerruf der Privatnutzung wegen einer zu kurz gewählten Auslauffrist nicht billigem Ermessen, könnten die Gerichte eine Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 2 BGB vornehmen.
2. Kein Verzicht von Urlaub durch Prozessvergleich,
BAG, Urt. v. 03.06.2025 – 9 AZR 104/24
Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer nicht – auch nicht durch gerichtlichen Vergleich – auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten. Dies gilt auch dann, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststeht und absehbar ist, dass der Arbeitnehmer bis dahin seinen Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht wird in Anspruch nehmen können.
3. Kein Sonderkündigungsschutz für Mitarbeiter, der in Probezeit Betriebsrat gründen möchte,
LAG München, Urt. v. 20.08.2025 – 10 SLa 2/25
Das LAG München hat entschieden, dass der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3b KSchG nicht während der Wartezeit von sechs Monaten gem. § 1 Abs. 1 KSchG greift und außerdem Verwirkung eintritt, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber nicht zeitnah (innerhalb von drei Wochen, spätestens innerhalb von drei Monaten) nach dem Zugang der Kündigung über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 b KSchG informiert.
4. Ehrschutzklage einer Teamleiterin wegen getätigter Äußerungen durch einen Arbeitskollegen,
LAG Niedersachsen, Urt. v. 07.04.2025 – 1 5 SLa 855/24
Für Ehrschutzklagen gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem Gerichtsverfahren dienen oder die dort in Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten, etwa als Zeuge, gemacht werden, besteht in aller Regel kein Rechtsschutzbedürfnis. Der Grundsatz, dass Äußerungen in einem Zivilprozess nach dem Rechtsstaatsprinzip und dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht aus Gründen des Ehrschutzes zu zivilrechtlichen Nachteilen führen dürfen, gilt mangels redlichen Handelns des sich Äußernden nicht, wenn die betreffenden Behauptungen wissentlich unwahr erfolgen.
5. Streikteilnahme kann Höhe des Weihnachtsgeldes mindern,
ArbG Offenbach a. M., Urt. v. 28.08.2025 – 10 Ca 57/25
Arbeitgeber sind berechtigt, auch Fehlzeiten von Arbeitnehmern infolge Streikteilnahme anspruchsmindern bei übertariflichen Sonderzahlungen (hier: Weihnachtsgeld) zu berücksichtigen. Allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Es muss eine neutral für Fehlzeiten vorgesehene Kürzungsregelung bestehen.
6. Schadensersatz wegen verspäteter Zielvorgabe,
BAG, Urt. v. 19.02.2025 – 10 AZR 57/24
Zielvorgaben für eine variable Vergütung können die damit verbundene Motivations- und Anreizfunktion nur erreichen, wenn die Zielvorgaben dem Arbeitnehmer so rechtzeitig mitgeteilt werden, dass dieser seine Arbeitsleistung darauf einstellen kann; erfolgt die Mitteilung nicht rechtzeitig, kann dies einen Schadensersatzanspruch begründen.
§ 2 Verkehrsrecht
1. Zur Haftung eines Pedelec-Fahrers auf einem Radweg,
OLG Hamm, Beschl. v. 30.12.2024 – I – 7 U 5/24
Ein Pedelec-Fahrer hat beim Überholen eines Inline-Skaters auf einem Fahrradweg sowohl das Gebot hinreichenden Abstands (§ 5 Abs. 4 Satz 2 StVO) als auch das Gebot zur rechtzeitigen Warnung (§ 1 Abs. 2, § 16 Abs. 1 Nr. 2 StVO) zu beachten.
2. Zur Haftung des Betreibers einer Waschstraße für die Beschädigung eines Fahrzeugs,
BGH, Urt. v. 22.05.2025 – VII ZR 157/24
Hat ein Kraftfahrzeugeigentümer mit seinem Fahrzeug Marke BMW, Modell X 3, das wie alle Fahrzeuge aus derselben baureihe mit einem Tankdeckel ohne Verriegelungsmöglichkeit ausgestattet ist, eine vollautomatische Waschstraße benutzt und nach dem Waschvorgang festgestellt, dass der Tankdeckel des Fahrzeugs abgerissen und das Fahrzeug am Kotflügel beschädigt war, haftet der Waschstraßenbetreiber nicht für den entstandenen Schaden, wenn auf einem Schild vor der Einfahrt in die Waschstraße „Einfahrbedinungen & Hausrecht“ u. a. der Hinweis erfolgt „Bedienungshinweise des Fahrzeugherstellers zur Waschstraßenbenutzung unbedingt beachten“ … „Tank- und Wartungsklappen müssen sicher verriegelt sein“.
Für Fahrzeugschäden während des Waschvorgangs haftet der Betreiber einer Waschanlage im Grundsatz nur bei Vorliegen einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung. Eine solche ist vorliegend gerade nicht gegeben, weil der Waschanlagenbetreiber seinen Hinweis- und Schutzpflichten durch das Einfahrtschild an der Waschanlage genüge getan hat, denn der geltend gemachte Schaden beruht auf einem selbsttätigen Öffnen des Tankdeckels durch Druck auf den Deckel während des Waschvorgangs und die Öffnung des Tankdeckels hat ihre Ursache darin, dass das Fahrzeug aufgrund seiner baureihenspezifischen technischen Ausstattung über keine Verriegelungsmöglichkeit bei der Nutzung einer vollautomatisierten Waschstraße verfügt. Dieses spezifische technische Ausstattungsmerkmal fällt nicht in den Obhuts- und Gefahrenbereich des Anlagenbetreibers.
§ 3 Notariat
1. Mietervorkaufsrecht analog § 577 Abs. 1 S. 1 BGB bei Begründung von Teileigentum,
BGH, Urt. v. 21.05.2025 – VIII ZR 201/23
In analoger Anwendung des § 577 Abs. 1 S. 1 BGB kann auch dann ein Vorkaufsrecht des Mieters entstehen, wenn anstelle von Wohnungseigentum Teileigentum an zu Wohnzwecken vermieteten Räumlichkeiten begründet wird.
Die Frist des § 577 Abs. 1 S. 3 i. V. m. § 469 Abs. 2 S. 1 BGB ist eine Ausschlussfrist, die nach ihrem Ablauf nicht mehr der Disposition der Parteien unterliegt.
2. Keine Vereitelung eines siedlungsrechtlichen Vorkaufsrechts durch Vertragsaufhebung nach Zugang der Mitteilung über die Ausübung,
BGH, Urt. v. 11.04.2025 – V ZR 194/23
Das Recht zur Ausübung des Vorkaufsrechts setzt das Zustandekommen eines rechtswirksamen Kaufvertrages voraus. Letzteres ist erst dann der Fall, wenn auch die für die Wirksamkeit des Vertrages erforderlichen Genehmigungen erteilt sind. Nur bis zu diesem Zeitpunkt können Verkäufer und Käufer das Vorkaufsrecht gegenstandslos machen, indem sie den Kaufvertrag aufheben.
Ein siedlungsrechtliches Vorkaufsrecht nach § 4 RSiedlG kann nicht dadurch vereitelt werden, dass Verkäufer und Käufer der Vertrag nach dem Zugang der Mitteilung über die Ausübung der Vorkaufsrechts aufheben.
Wird der Kaufvertrag durch Vertreter ohne Vertretungsmacht vor Zugang der Mitteilung über die Ausübung des Vorkaufsrechts aufgehoben und genehmigen Verkäufer und Käufer die Vertragsaufhebung erst danach, entfällt hierdurch nicht rückwirkend das bereits ausgeübte Vorkaufsrecht des Siedlungsunternehmens.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Niehaus
Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht