Sehr geehrte Leserin,
sehr geehrter Leser,
das Jahr neigt sich so langsam dem Ende zu. Für uns Rechtsanwälte/innen bedeutet dies die Verjährung zu überprüfen. Auch die Gerichte wollen die laufenden Verfahren noch in diesem Jahr beenden. Aus diesem Grunde sind im Monat Oktober weitere wichtige Entscheidungen ergangen. Diese stellen wir nachfolgend da. Für Rückfragen stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.
Gliederung:
§ 1 Arbeitsrecht
1. Unangemessenheit einer Klausel zur Erstattung von Fortbildungskosten
LAG Köln, Urt. 19.08.2025 – 7 SLa 647/24
2. Entbehrlichkeit der Abmahnung im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung bei Gewaltanwendung des Arbeitnehmers,
LAG Niedersachsen,, Urt. v. 25.08.2025 – 15 SLa 315/25
3. Umfang der Inhaltskontrolle bei arbeitsvertraglich in Bezug genommene Regelungen
BAG, Urt. v. 2.7.2025 – 10 AZR 162/24
4. Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen BAG-Entscheidung,
BVerfG v. 29.09.2025 – 2 BvR 934/19
5. Bezahlte Frühstückspause kann nicht einfach durch Betriebsvereinbarung abgeschafft werden,
BAG v. 20.5.2025 – 1 AZR 120/24
6. 15.000 Euro Entschädigung für permanente unzulässige Überwachung am Arbeitsplatz,
LAG Hamm v. 28.5.2025 – 18 SLa 959/24
7. Weniger Wahlbewerber als Betriebsratssitze bei Betriebsratswahl – Keine Nachfrist für Wahlvorschläge,
BAG v. 22.5.2025 – 7 ABR 10/24
8. Verfall gesetzlichen Urlaubsanspruchs kann per Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden,
BAG, Urt. v. 15.7.2025 – 9 AZR 198/24
§ 2 Verkehrsrecht
1. Keine grobe Fahrlässigkeit mein Vertrauen auf die Fahrerlaubnis,
OLG Hamm, Beschluss vom 7.11.2024-20 U 106/24
2. Feststellungsinteresse hinsichtlich einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden,
BGH, Urteil vom 8.4.2025 VI ZR 25/24
§ 3 Notariat
1. Verletzungsbedingter Rücktritt vom Bauträgervertrag hindert Geltendmachung bereits verwirkter Vertragsstrafe nicht,
BGH, Urteil vom 22.5.2025 – VII ZR 129/24
2. Verjährung von Gewährleistungsansprüchen bei unwirksamer Abnahmeklausel im Bauträgervertrag,
OLG Stuttgart, Urteil vom 13.5.2025- 10 U 4/25
§ 1 Arbeitsrecht
1. Unangemessenheit einer Klausel zur Erstattung von Fortbildungskosten
LAG Köln, Urt. 19.08.2025 – 7 SLa 647/24
Eine Rückzahlungsklausel ist dann unangemessen benachteiligend i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn sie den Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm z.B. aufgrund eines durch eigene leichteste Fahrlässigkeit verursachten Unfalls nicht mehr möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichten soll. Eine Rückzahlungsklausel im Vertrag eines Brandmeisteranwärters, die vorsieht, dass die während der 18-monatigen Ausbildung zum Brandmeister gezahlte Bruttovergütung bei einem vorzeitigen Ausscheiden zeitratierlich zurückzuzahlen ist, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.
LAG Niedersachsen,, Urt. v. 25.08.2025 – 15 SLa 315/25
Die Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten kann eine außerordentliche Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn sie nicht mit erheblicher Gewaltanwendung erfolgt.
Reagiert ein Arbeitnehmer auf die Ansprache eines Vorgesetzten wegen der pflichtwidrigen Nutzung eines privaten Smartphones mit den Worten „Hau ab hier“, stösst ihn weg und tritt nach ihm, ist eine Abmahnung vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung entbehrlich.
3. Umfang der Inhaltskontrolle bei arbeitsvertraglich in Bezug genommene Regelungen,
BAG, Urt. v. 2.7.2025 – 10 AZR 162/24
Arbeitsvertraglich in Bezug genommene tarifliche Regelungen unterliegen nach § 310 Abs. 4 S. 3 i.V.m. § 307 Abs. 3 BGB keiner Inhaltskontrolle, wenn sich die Bezugnahme auf die Gesamtheit der Regelungen eines einschlägigen Tarifvertrags erstreckt. Eine beschränkte Verweisung auf einzelne Tarifnormen oder sachlich und inhaltlich zusammenhängende Regelungsbereiche oder -komplexe des Tarifvertrags führt hingegen nicht zu deren Kontrollfreiheit.
4. Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen BAG-Entscheidung,
BVerfG v. 29.09.2025 – 2 BvR 934/19
Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde eines kirchlichen Arbeitgebers stattgegeben, die sich gegen ein Urteil richtete, mit dem das BAG (nach EuGH-Vorlage) den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt hatte, weil er eine konfessionslose Bewerberin für eine ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Das BAG-Urteil verletzt den Arbeitgeber in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, weil die bei der Anwendung der Schrankenbestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.
5. Bezahlte Frühstückspause kann nicht einfach durch Betriebsvereinbarung abgeschafft werden,
BAG v. 20.5.2025 – 1 AZR 120/24
Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, nach der ein tarifgebundener Arbeitgeber den Arbeitnehmern künftig keine Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause während der Arbeitszeit mehr gewährt, enthält keine Änderung eines betrieblichen Entlohnungsgrundsatzes und unterliegt damit nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.
6. 15.000 Euro Entschädigung für permanente unzulässige Überwachung am Arbeitsplatz,
LAG Hamm v. 28.5.2025 – 18 SLa 959/24
Eine permanente unzulässige Überwachung nahezu der gesamten Betriebsräume und des Arbeitsplatzes über einen Zeitraum von 22 Monaten – trotz Widerspruchs des betroffenen Arbeitnehmers – stellt eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar und rechtfertigt die Zuerkennung einer Geldentschädigung i.H.v. 15.000 €.
7. Weniger Wahlbewerber als Betriebsratssitze bei Betriebsratswahl – Keine Nachfrist für Wahlvorschläge,
BAG v. 22.5.2025 – 7 ABR 10/24
Der in § 9 WO geregelte Fall, dass nach Ablauf der Einreichungsfrist keine gültige Vorschlagsliste eingereicht wurde, ist mit dem Fall, dass innerhalb der Einreichungsfrist nur eine Vorschlagsliste mit einer unzureichenden Anzahl von Bewerbern eingereicht wurde, nicht vergleichbar. Für die Annahme, eine Pflicht des Wahlvorstands zur Nachfristsetzung bestünde immer dann, wenn Vorschlagslisten mit insgesamt weniger Bewerbern als den zu vergebenen Betriebsratssitzen eingereicht worden sind, fehlt es an einem normativen Anknüpfungspunkt.
8. Verfall gesetzlichen Urlaubsanspruchs kann per Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden,
BAG, Urt. v. 15.7.2025 – 9 AZR 198/24
Der Verfall des gesetzlichen Mindesturlaubs bei einer langen Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit kann per Arbeitsvertrag ausgeschlossen werden. Anderslautende Arbeitsvertragsrichtlinien (hier: Diakonie Deutschland – AVR-DD) müssen nicht zwingend angewendet werden. Bedienen sich die Kirchen jedermann offenstehender privatautonomer Gestaltungsformen, unterliegen sie daher unter Berücksichtigung ihres Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrechts den zwingenden Vorgaben staatlichen Arbeitsrechts.
§ 2 Verkehrsrecht
1. Keine grobe Fahrlässigkeit mein Vertrauen auf die Fahrerlaubnis,
OLG Hamm, Beschluss vom 7.11.2024-20 U 106/24
Täuscht ein Arbeitnehmer bei der Einstellung den Arbeitgeber eines Pflegedienstes über das Vorhandensein einer Fahrerlaubnis, so begründet die spätere Überlassung eines Fahrzeugs ohne eine Kontrolle ihres Vorhandenseins nicht den Vorwurf grober Lästigkeit.
Vorliegend hatte eine Versicherung versucht im Rahmen der Abwicklung eines Kaskoschadens die Entschädigung zurückzuverlangen, da aus ihrer Sicht ein grob fahrlässiger Verstoß des Versicherungsnehmers gegen eine Obliegenheit aus den Allgemeinen Kraftfahrt-Bedingungen vorliege. Dies verneinte vorliegend jedoch das OLG Hamm. Gerade wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, dem er das versicherte Fahrzeug überließ vertraute oder von ihm getäuscht wurde, wird häufiger grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden können oder eine solche im unteren Bereich einzuordnen sein. Da vorliegend aus Sicht des Gerichts keine grobe Fahrlässigkeit vorlag, scheiterte das Rückforderungsbegehren.
2. Feststellungsinteresse hinsichtlich einer Ersatzpflicht für zukünftige Schäden,
BGH, Urteil vom 8.4.2025 VI ZR 25/24
Berechnet der Geschädigte seinen Schaden zulässigerweise auf der Grundlage der von dem Sachverständigen ermittelten Kosten fiktiv, also ohne Durchführung der Reparatur und damit insbesondere ohne Umsatzsteuer, hat er-schon um der drohenden Verjährung zu begegnen-ein Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden. Der Geschädigte muss nicht dar, dass er die Absicht hat, sein Fahrzeug zu klären. Vielmehr reicht die Darlegung, dass die Möglichkeit der Reparatur besteht, grundsätzlich aus. Daran fehlte es erst, wenn Aussicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund bestände, mit der Reparatur wenigstens zu rechnen.
Grundsätzlich kann der Geschädigte seinen Schaden auch fiktiv abrechnen, d. h. er kann die Nettoreparaturkosten geltend machen, wenn er das Fahrzeug noch nicht repariert hat. Der Schaden muss dann durch die Reparatur nicht beseitigt werden. Wird der Geschädigte jedoch später das Fahrzeug dennoch reparieren lassen, läuft er Gefahr, dass er aufgrund der Verjährung die zu zahlende Mehrwertsteuer nicht erstattet bekommt. Dies kann man vermeiden, indem man nunmehr in der Klage im Rahmen eines Feststellungsantrages diese zukünftigen Schäden bereits geltend macht.
§ 3 Notariat
BGH, Urteil vom 22.5.2025 – VII ZR 129/24
Tritt ein Besteller aufgrund eines ihm in einem Bauträgervertrag vertraglich eingeräumten Rücktrittsrechtes wegen nicht terminsgerechter Fertigstellung eines abnahmereifen Bauwerks von dem Vertrag zurück, erlischt hierdurch nicht der Anspruch auf Zahlung einer vereinbarten und bereits verwirkten Vertragsstrafe wegen des Verzugs des Unternehmers mit der Fertigstellung, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben.
2. Verjährung von Gewährleistungsansprüchen bei unwirksamer Abnahmeklausel im Bauträgervertrag,
OLG Stuttgart, Urteil vom 13.5.2025- 10 U 4/25
Eine Klausel in einem Bauträgervertrag, die den Fristbeginn für einen Widerspruch des Erwerbers gegen die beabsichtigte Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch einen Vertreter an das absenden eines Informationsschreibens des Vertreters anknüpft, hält einer Inhaltskontrolle nicht stand.
Verhandlungen einer WEG oder die Klage einer WEG im Hinblick auf Mängel des Gemeinschaftseigentums hemmen die Verjährung der Mängelrechte, wenn und sobald die WEG berechtigt ist, diese Ansprüche für die Erwerber geltend zu machen.
Die Rechtsanwendung unterliegt nicht der Dispositionsfreiheit der Parteien. Ob ein Erfüllungsanspruch oder ein Nacherfüllungsanspruch vorliegt und deren Verjährung sind Fragen der Rechtsanwendung auf den der Entscheidung zugrunde zu legenden, also festgestellten bzw. unstreitigen, Lebenssachverhalt und sind damit Aufgabe des Gerichts. Insoweit können weder die Parteien das Gericht noch das Gericht sich selbst auf die Prüfung einzelner Anspruchsnormen unter Außerachtlassung anderer, auf den Sachverhalt anwendbar Normen beschränken.
Liegt beim Bauträgervertrag eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums vor, die wegen Verstoßes gegen Rechtsnormen unwirksam ist, verjähren die Ansprüche des Erwerbers wegen Mängel spätestens mit Ablauf von 15 Jahren nach Fertigstellung bzw. letzten Erwerber.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Niehaus
Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht