Liebe Leserin,
lieber Leser,
liebe Mandantin und lieber Mandant,
anbei überreiche ich den Newsletter Februar 2025, in dem die neu veröffentlichten Entscheidungen der Gerichte dargestellt werden. Sollten Sie zu den einzelnen Entscheidungen Rückfragen haben, melden Sie sich gerne.
Gliederung:
§ 1 Arbeitsrecht
1. Schadensersatz bei rechtswidriger Erlangung von Daten nach Art. 82 DS-GVO,
BAG, Urt. v. 17.10.2024 – 8 AZR 215/23
2. Feiertagszuschlag nur bei Feiertag an regelmäßigem Beschäftigungsort,
BAG, Urt. v. 01.08.2024 – 6 AZR 38/24
3. Unwirksamkeit von Catch-all Klauseln zur Geheimhaltungsverpflichtung,
BAG, Urt. v. 17.10.2024 – 8 AZR 172/23
4. Keine Böswilligkeit im unbeendeten Arbeitsverhältnis,
BAG, Urt. v. 12.02.2025 – 5 AZR 127/24
5. Angriff auf Betreuerin kann Arbeitsunfall sein,
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 26. Juni 2024 – L 6 U 19/23
6. Abmahnung wegen fehlender Kenntnisnahme von Weisungen per SMS in der Freizeit,
BAG, Urt. 23.08.2023 – 5 AZR 349/22
7. Spielraum für Betriebsräte bei der Auswahl von Schulungen,
BAG, Beschluss v. 07.02.2024 – 7 ABR 8/23
§ 2 Verkehrsrecht / Versicherungsrecht
1. Rote Ampel: Keine Verurteilung ohne genaue Daten zur Technik,
OLG Karlsruhe, Urt. v. 07.05.2024 – 3 O 330 SsBs 218/24
2. Sturmschäden und Kfz-Versicherung: Wann zahlt die Teilkasko?
OLG Nürnberg, Beschluss v. 25.06.2024 – 8 U 775/24
3. Auffahrunfall: Anscheinsbeweis,
BGH, Urt. v. 03.12.2024 – VI ZR 18/24
4. Haftung für Verkehrsunfall bei Schwarzfahrt mit nicht angemeldeten Fahrzeug,
LG Lübeck, Urt. v. 18.12.2024 – 10 O 191/23
5. Keine Beratungspflicht des Versicherers über eine anzupassende Versicherungssumme nach Mitteilung eines Wohnungswechsels,
OLG Oldenburg, Beschluss v. 10.09.2024 – 1 U 13/24
§ 3 Notariat
1. Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers; außerordentliche Kündigung; Erklärungsfrist,
BGH, Urt. v. 05.11.2024 – II ZR 35/23
2. Grundstückskaufvertrag; Sachmangel; Haftung für Angaben im Maklerexpose; Auslegung des Ausdrucks „komplette Dachsanierung“,
BGH, Urt. v. 06.12.2024 – V ZR 229/23
§ 1 Arbeitsrecht
1. Schadensersatz bei rechtswidriger Erlangung von Daten nach Art. 82 DS-GVO,
BAG, Urt. v. 17.10.2024 – 8 AZR 215/23
Vorliegend ging es um einen Schadensersatzanspruch aus der rechtswidrigen Erlangung von Daten. Ein Auszubildener hatte gegen seinen Ausbildungsbetrieb, der ein Fitnessstudio betreibt, einen Auskunftsanspruch geltend gemacht. Der Auszubildene hatte auf einem privaten USB-Stick weitere Daten sowie private Videos und Lichtbilder gespeichert. Der Ausbildungsbetrieb hatte diesen USB-Stick an sich genommen, weil aus Sicht des Ausbildungsbetriebes die Gefahr bestand, dass Mitgliederdaten auf diesem Stick gespeichert waren. Der Ausbildungsbetrieb hatte gegenüber dem Auszubildenen die Auskunft erteilt, dass lediglich sein Name, seine Anschrift, sein Geburtsdatum, die Arbeitsplatzbeschreibung sowie die Arbeitszeiterfassungen gespeichert seien. Die Daten auf dem USB-Stick wurden nicht genannt. Aus Sicht des Auszubildenden bestehe die Gefahr, dass diese Daten an Dritte weitergegeben werden. Er habe wegen des unrichtigen Auskunftsanspruchs schlaflose Nächte. Es bestehe zudem eine Unsicherheit, was mit den Daten auf dem USB-Stick geschehe.
Das Bundesarbeitsgericht hatte die Klage auf Schadensersatz abgelehnt. Grundsätzlich trage der Kläger für einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO die Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen. Dies sei dem Kläger nicht gelungen. Allein die Unsicherheit, was mit den Daten auf dem USB-Stick geschehe begründe einen solchen immateriellen Schadensersatzanspruch nicht, da mit einem unrichtigen Auskunftsanspruch immer diese Unsicherheit bestehe und damit immer automatisch der Schadensersatzanspruch bestehen würde. Er hätte weitere Umstände darlegen müssen. Eine rechtswidrige Erlangung der USB-Daten würde dies auch nicht erleichtern. Die Darlegungs- und Beweisgrundsätze würden auch für diesen Fall greifen. Für die Annahme eines immateriellen Schadensersatz reichen auch nicht negative Gefühle wie Befürchtungen und Ängste aus. Es müssten weitere Umstände hinzutreten.
2. Feiertagszuschlag nur bei Feiertag an regelmäßigem Beschäftigungsort,
BAG, Urt. v. 01.08.2024 – 6 AZR 38/24
In einem zu entscheidenden Fall ging es darum, dass nach dem Arbeitsvertrag der Tarifvertrag TV-L Anwendung fand. Der gewöhnliche Beschäftigungsort lag im Land Nordrhein-Westfalen. Zum Zwecke einer Umschulung wurde der Mitarbeiter jedoch nach Hessen geschickt. Allerheiligen war in Nordrhein-Westfalen ein gesetzlicher Feiertag, jedoch nicht in Hessen. Der Mitarbeiter verlangte vom Arbeitgeber nunmehr den Feiertagszuschlag für Allerheiligen.
Das Bundesarbeitsgericht entschied nunmehr, dass nach den TV-L ein Anspruch auf einen Feiertagszuschlag bestehe. Es kommt darauf an, dass an dem regelmäßigen Beschäftigungsort ein gesetzlicher Feiertag besteht.
3. Unwirksamkeit von Catch-all-Klauseln zur Geheimhaltungsverpflichtung,
BAG, Urt. v. 17.10.2024 – 8 AZR 172/23
Das Bundesarbeitsgericht musste sich vorliegend mit einer „Catch-all-Klausel zur Geheimhaltungspflicht auseinandersetzen, die wie folgt lautete:
„Herr D. wird über alle Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie alle sonstigen ihm im Rahmen der Tätigkeit zur Kenntnis gelangenden Angelegenheiten und Vorgänge der Gesellschaft Stillschweigen bewahren. Er wird dafür Sorge tragen, dass Dritte nicht unbefugt Kenntnis erlangen.
Die Verpflichtung zur Geheimhaltung besteht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus und umfasst auch die Inhalte dieses Vertrages.“
Das BAG entschied, dass die vorliegende Klausel unwirksam sei. Eine formularmäßig vereinbarte Vertragsklausel, die den Arbeitnehmer bezüglich aller internen Vorgänge beim Arbeitgeber über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus zeitlich unbegrenzt zum Stillschweigen verpflichtet (sog. Catch-all-Klauseln), benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb unwirksam.
Bezüglich eines Unterlassungsanspruchs nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) entschied das BAG wie folgt: Die Bestimmungen des am 26.04.2019 in Kraft getretenen Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) finden bzgl. Unterlassungsansprüchen auch dann Anwendung, wenn die Wiederholungsgefahr auf eine rechtsverletzende Handlung gestützt wird, die vor dem Inkraftreten des Gesetzes begangen wurde. Ein Unterlassungsanspruch besteht nur dann, wenn das beanstandete Verhalten zum Zeitpunkt seiner Vornahme nach dem damals geltenden Recht rechtswidrig war und die Voraussetzungen des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zum Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung erfüllt sind.
4. Keine Böswilligkeit im unbeendeten Arbeitsverhältnis,
BAG, Urt. v. 12.02.2025 – 5 AZR 127/24
Das BAG musste sich mit der Frage beschäftigen, ob der freigestellte Arbeitnehmer sich bereits während der Kündigungsfrist um eine anderweitige Beschäftigung kümmern muss und damit bereits der Annahmeverzugslohn wegen böswilligen Unterlassen anderweitigen Erwerbs entfällt nach § 615 S. 2 BGB. Das BAG entschied, dass der freigestellte Arbeitnehmer während der Kündigungsfrist sich nicht um eine anderweitige Beschäftigung kümmern muss. Es liegt daher keine Böswilligkeit vor, die den Annahmeverzugslohn entfallen lässt. Der kündigende Arbeitgeber könnte den Mitarbeiter ja selbst beschäftigen. Gründe die dagegen sprechen, wurden nicht vorgetragen.
5. Angriff auf Betreuerin kann Arbeitsunfall sein,
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 26. Juni 2024 – L 6 U 19/23
Wenn eine Betreute ihrem ehrenamtlichen Betreuer eine Vase auf den Kopf schlägt, kann das für das Opfer ein Arbeitsunfall sein. Dies gilt auch dann, wenn die Beteiligten miteinander verwandt sind und der Vorfall sich in der gemeinsamen Wohnung ereignet. Voraussetzung ist, dass der Angriff infolge der Betreuertätigkeit erfolgt ist.
6. Abmahnung wegen fehlender Kenntnisnahme von Weisungen per SMS in der Freizeit,
BAG, Urt. v. 23.08.2023 – 5 AZR 349/22
Vorliegend hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während dessen Urlaub per SMS Weisungen über die anstehenden Arbeitszeiten gesendet. Der Arbeitnehmer hatte nach seiner Urlaubsrückkehr die Weisungen nicht berücksichtigt, woraufhin er vom Arbeitgeber abgemahnt wurde. Das BAG entschied, dass für Arbeitnehmer die Nebenpflicht besteht, die Dienstzuteilung zur Kenntnis zu nehmen auch im Urlaub. Da der Arbeitnehmer dies hier nicht tat und seine Arbeitsleistung zu spät anbot, hatte der Arbeitnehmer keinen Vergütungsanspruch und wurde zu Recht abgemahnt.
7. Spielraum für Betriebsräte bei der Auswahl von Schulungen,
BAG, Beschluss v. 07.02.2024 – 7 ABR 8/23
Der Kostenübernahmeanspruch nach § 40 BetrVG erstreckt sich auch auf die Übernachtungs- und Verpflegungskosten für ein auswärtiges Präsenzseminar – selbst wenn derselbe Schulungsträger zeitgleich ein inhaltsgleiches Webinar anbietet. Der Betriebsrat hat einen gewissen Beurteilungsspielraum und kann entscheiden, zu welchen Schulungen er die Mitglieder entsendet.
§ 2 Verkehrsrecht / Versicherungsrecht
1. Rote Ampel: Keine Verurteilung ohne genaue Daten zur Technik,
OLG Karlsruhe, Urt. v. 07.05.2024 – 3 Orbs 330 SsBs 218/24
Für eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes muss genau festgestellt werden, wann die Haltelinie überfahren wurde und wie lange die Ampel schon rot zeigte. Fehlen diese Angaben, ist die Verurteilung unwirksam. Ohne diese Feststellung ist eine Überprüfung der Messung und der Dauer des Rotlichts nicht möglich. Insbesondere ist es unerlässlich, die technische Ausgestaltung der Ampel und die Lage der Induktionsschleifen detailliert darzustellen. Nur so kann nachvollzogen werden, ob und wann der Betroffene tatsächlich bei rot gefahren ist.
2. Sturmschäden und Kfz-Versicherung: Wann zahlt die Teilkasko?
OLG Nürnberg, Beschluss v. 25.06.2024 – 8 U 775/24
Nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg bestehen hohe Anforderung für den Versicherungsnehmer zur Geltendmachung eines Sturmschadens. Wer gegenüber seiner Teilkaskoversicherung einen Sturmschaden geltend machen will, muss den Schaden genau beweisen. Der Versicherungsnehmer muss den Eintritt des Sturms und dessen unmittelbare Einwirkung auf das Fahrzeug beweisen. Es genügt nicht, dass ein Sturm in der fraglichen Zeit möglicherweise geherrscht hat. Der Schaden muss konkret durch diesen Sturm verursacht worden sein. Hierfür trägt der Versicherungsnehmer die volle Beweislast.
3. Auffahrunfall: Anscheinsbeweis,
BGH, Urt. v. 03.12.2024 – VI ZR 18/24
Ein Anscheinsbeweis, der beim Auffahrunfall für einen schuldhaften Verstoß des Hintermanns gegen § 4 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1 S. 4 oder § 1 Abs. 2 StVO spricht, kann auch dann eingreifen, wenn ein Motorradfahrer hinter einem stark abbremsenden Pkw ohne Berührung der Fahrzeuge stürzt und es nur durch Zufall nicht zu einer Kollision mit dem Vorausfahrenden kommt.
4. Haftung für Verkehrsunfall bei Schwarzfahrt mit nicht angemeldeten Fahrzeug,
LG Lübeck, Urt. v. 18.12.2024 – 10 O 191/23
Bei Probefahrten mit Fahrzeugen, die von Privatleuten zum Verkauf angeboten werden, ist nicht von einer stillschweigenden Haftungsbeschränkung auf Fälle grober Fahrlässigkeit auszugehen. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: ein privater Verkäufer hatte ein Importfahrzeug zum Verkauf angeboten. Das Fahrzeug war nicht angemeldet. Der Verkäufer hatte den Käufer darauf hingewiesen, dass der Käufer bei einer Probefahrt ein Kennzeichen mitbringen muss oder der Verkäufer würde ein Kurzzeitkennzeichen registrieren lassen, wenn der Käufer ihm das mitteilen würde. Für die Probefahrt hatte der Käufer kein Kennzeichen. Auch hatte er den Verkäufer keinen Hinweis gegeben, dass dieser ein Kurzzeitkennzeichen registrieren lassen sollte. Es geschah bei der Probefahrt ein Verkehrsunfall. Der Verkäufer wurde als Halter zum Ersatz des materiellen und des immateriellen Schadens verurteilt. Der Verkäufer nahm daraufhin den Käufer in Regress und gewann. Anders als bei gewerblichen Fahrzeugverkäufern ist bei Probefahrten mit Fahrzeugen, die von Privatleuten zum Verkauf angeboten werden, sei nicht von einer stillschweigenden Haftungsbeschränkung auf Fälle grober Fahrlässigkeit auszugehen.
5. Keine Beratungspflicht des Versicherers über eine anzupassende Versicherungssumme nach Mitteilung eines Wohnungswechsels,
OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.09.2024 – 1 U 13/24
Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer einer Hausratsversicherung, der ihm einen Umzug und die Wohnfläche des bezogenen Einfamilienhauses anzeigt, grundsätzlich nicht auf eine gegebenenfalls anzupassende Versicherungssumme hinweisen.
§ 3 Notariat
1. Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers; außerordentliche Kündigung; Erklärungsfrist,
BGH, Urt. v. 05.11.2024 – II ZR 35/23
Bei einer außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages des Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung aufgrund vertraglich vereinbarter wichtiger Gründe gilt die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB (zwei Wochen ab Kenntnisnahme des wichtigen Kündigungsgrundes).
Auf den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der kein Mehrheitsgesellschafter ist, sind die zum Nachteil des Geschäftsführers grundsätzlich nicht abdingbaren, in § 622 Abs. 1 und 2 BGB geregelten Kündigungsfristen entsprechend anzuwenden, Dies gilt auch dann, wenn er Geschäftsführer der Komplementärin einer GmbH & Co. KG ist und den Anstellungsvertrag unmittelbar mit der Kommanditgesellschaft abgeschlossen hat.
2. Grundstückskaufvertrag; Sachmangel; Haftung für Angaben im Maklerexpose; Auslegung des Ausdrucks „komplette Dachsanierung“,
BGH, Urt. v. 06.12.2024 – V ZR 229/23
In einem Maklerexpose wurde bezüglich einer Immobilie eine „komplette Dachsanierung“ angegeben. Es handelte sich um eine ältere Immobilie. Es stellte sich heraus, dass lediglich die äußere Dachschicht (hier Bitumenbahnen) saniert wurde. Die Käufer gehen nunmehr von einem Sachmangel aus, da im Expose von einer kompletten Sachsanierung die Rede sei. Nach dem BGH kommt es darauf an, was man nach dem allgemeinen Sprachgebrauch unter einer Dachsanierung versteht. Nach dem BGH gebe es keinen allgemeinen Sprachgebrauch des Inhalts, dass unter einem in einem bestimmten Jahr komplett erneuerten Dach stets nur die Erneuerung der obersten Dachschicht (hier: Bitumenbahnen) zu verstehen sei.
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Niehaus
Rechtsanwalt und Notar
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht